Vom Langzeitchef zum Manager auf Zeit: Die Herausforderungen und Chancen des Führungswandels
Die Führungskultur in Unternehmen hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Traditionelle Muster, in denen Führungskräfte vorzugsweise aus den eigenen Reihen rekrutiert wurden und langfristig in ihrer Rolle blieben, weichen zunehmend einem dynamischeren, jedoch auch unsichereren Modell. Insbesondere in Top-Positionen erleben wir eine Zunahme von kurzen Amtszeiten, die die Möglichkeit einer länger dauernden und tiefgehenden Einarbeitung erschweren und Fragen zur Nachhaltigkeit wichtiger Veränderungen aufwerfen.
Von Langfristigkeit zu Schnelllebigkeit
Früher war es nicht unüblich, dass Geschäftsführer über Jahrzehnte in ihrer Rolle verweilten und tief in die Unternehmenskultur eingebunden waren. Dies ermöglichte nicht nur die Identifikation mit der Firma, sondern auch die Entwicklung und Umsetzung langfristiger Strategien. Es galt das Selbstverständnis, „wenn du in der Geschäftsführung bist, gehst du auch bei diesem Unternehmen in Pension.“ Diese Ära der Stabilität erlaubte es Führungskräften, fundierte Entscheidungen zu treffen, die auch langfristige Projekte berücksichtigten und bei allen Auf und Abs erfolgreich gesteuert werden konnten.
Laut einer Studie der Beratungsfirma PWC beträgt in den letzten Jahren die durchschnittliche Verweildauer von CEO´s in der DACH-Region knapp über sechs Jahre. Tendenz sinkend. International betrachtet werden Führungskräfte sogar noch schneller abgesägt. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass es im deutschsprachigen Raum nur etwa 25 Prozent „Quereinsteiger“, international aber mehr als 50 Prozent gibt. Einen deutlichen Unterschied macht es auch, ob es sich um börsennotierte, im anonymen Streubesitz befindliche Unternehmen oder um Familienunternehmen handelt. Letztere sind der vorherrschende Unternehmenstypus in Mitteleuropa (in Deutschland rund 90 Prozent!). Signifikant abhängig ist die Verweildauer auch von der Unternehmensgröße (Anzahl der Beschäftigten). Grob gesagt: je mehr Beschäftigte desto kürzer die Verweildauer. Nachhaltige Veränderungen und das Erreichen langfristiger Ziele brauchen aber eines: Zeit. (Quelle: https://www.theeuropean.de/politik/fuehrungskraefte-werden-immer-schneller-abgesaegt)
Herausforderungen des schnellen Wechsels
Ein zentraler Aspekt fehlender Zeit ist die Schwierigkeit, als neue Führungskraft schnell die relevanten Strukturen, Informationen und Netzwerke im Unternehmen zu verstehen. Ohne ausreichende Zeit oder systematische Unterstützung wird die Orientierung zur Herausforderung. Fehler, die in diesem Kontext entstehen, führen oft dazu, dass Führungskräfte schnell ausgetauscht werden, was wiederum die Unsicherheit für nachfolgende Manager erhöht. Eine gefährliche Abwärtsspirale.
Die Kultur des „Hire-and-Fire“, die früher als typisch für die USA angesehen wurde, hat sich auch in Deutschland etabliert. Diese Entwicklung wird von vielen Mitarbeitenden sehr kritisch betrachtet, da sie weder der Stabilität des Unternehmens noch dem Vertrauen der Belegschaft zuträglich ist.
Die Rolle von strukturiertem Onboarding
Ein Lösungsansatz, der sich in diesem Kontext anbietet, ist ein systematisches Onboarding für Top-Führungskräfte. Für viele Manager ein Tabu, denn sie wollen sich natürlich ohne Unterstützung „niederer Ränge“ durch diese Startsituation kämpfen und ihre Rolle als Leader unangefochten von Anfang an etablieren. Ein strukturiertes Onboarding kann aber die Einarbeitungszeit deutlich verkürzen. Onboarding für Top-Manager sollte mehr als eine einfache Einführung in die neue Funktion sein, sondern einen Rahmen schaffen, in dem neue Manager unter moderierender Begleitung effektiv Informationen sammeln und bewerten können. Ziel ist es, die Einarbeitungsphase zu strukturieren und sicherzustellen, dass Führungskräfte auf Basis valider Informationen und dem impliziten Wissen des Unternehmens mit Blick auf die Zukunft fundierte Entscheidungen treffen können.
Ein solches Onboarding könnte beispielsweise folgende Elemente umfassen:
Wissenssicherung: Ein strukturierter Prozess, um bestehendes Wissen von Teams und Vorgängern zu sammeln und zu evaluieren.
Netzwerkbildung: Gezielte Unterstützung beim Aufbau von Beziehungen zu internen und externen Stakeholdern.
Strategieanpassung: Begleitung bei der Anpassung und Umsetzung der eigenen Vision vor dem Hintergrund der spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens.
Veränderung als Chance
Der Wandel in der Führungskultur bietet nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen. Eine kürzere Verweildauer hat auch einen Vorteil: Es wird angesichts der sich schneller ändernden Märkte nicht zu lange nach den festgelegten Regeln eines Chefs verfahren.
Unternehmen, die diese Veränderungen aktiv gestalten, können von einer offenen, vielfältigeren und verantwortungsbewussten Führung, die mehr als nur individuelle Interessen etablieren will, profitieren. Doch dies erfordert Mut und die Bereitschaft, Tabus aufzubrechen. Dies ist ein umfassendes Thema der Führungskultur, die sich angesichts der nunmehr deutlichen Defizite, weiter verändern muss. Denn dies greift tief in die Kultur des gesamten Unternehmens ein. Identifikation mit dem Unternehmen, sowohl der Top-Führung als auch der Mitarbeitenden, muss entgegen der kurzfristigen Kommen und Gehen - Kultur wieder aufgebaut werden, damit auch die erfahrenen und kompetenten Mitarbeitenden bereit sind, selbst langfristig Verantwortung zu übernehmen und sich mit ihren Kompetenzen und Erfahrungen einzubringen, um gemeinsam Neues zu schaffen. Die Furcht, langjährige Erfahrung durch Veränderungen zu entwerten, muss vom Glauben an die Chance, mit dem Neuen erfolgreich zu sein, übertroffen werden.
Die längerfristige Stabilität der Führung wird davon abhängen, wie gut es Unternehmen gelingt, neue Ansätze wie strukturiertes Onboarding und langfristige Planung miteinander zu verbinden. So könnte sichergestellt werden, dass Führungskräfte nicht nur kurzfristige (persönliche) Erfolge ins Auge fassen, sondern auch nachhaltige Strategien umsetzen können, die dem gesamten Unternehmen zugutekommen.
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