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Reflexion statt Reflex

02.05.2017
Bettina Augustin

Es gibt viele anspruchsvolle und energiezehrende Aufgaben, die Führungskräfte Tag für Tag bewältigen müssen. Im gleichen Maße gibt es jede Menge Unsicherheiten, teilweise auch Ängste und viele Fragen. Oft sind die Chefs für diesen Job nicht vorbereitet, auch wenn die Ansprüche an sich selbst und die von Unternehmensseite gewaltig sind. Erörtert man mit Führungskräften, was ihnen auf den Nägeln brennt und woran sie gerne arbeiten wollen, um besser klar zu kommen und angemessen ihre Führungsrolle einnehmen zu können, dann hört man oft Folgendes:
Wie kann ich meine Mitarbeiter besser motivieren? Wie gehe ich mit schwierigen Mitarbeitern um? Wie delegiere ich angemessen? Wie kann ich die Komplexität besser steuern? Wie schaffe ich es, dass meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bessere Leistungen erzielen? Wie bringe ich das Unternehmen auf Vordermann? Wie ändere ich die Kultur?

Beim ersten Blick auf die Fragen, würde man eigentlich unmittelbar sagen: Ja, das sind die Themen. Und deswegen wurden dazu auch Armaden von Büchern und Ratgebern geschrieben, Tools und Methoden entwickelt, die für jedes dieser Probleme und auch andere Problemstellungen Antworten und Lösungen bereithalten. Manager und Führungskräfte sind bereits darauf konditioniert, dass in den Methoden die richtige Lösung liegen muss, denn nicht umsonst haben sich Menschen mit großen Namen über Jahrzehnte genau damit auseinandergesetzt. Dann muss es wohl stimmen.

Seltsam ist dennoch, dass so wenig davon umgesetzt wird und bei all diesen intelligenten Tools die Mitarbeiter nicht mitspielen. Ein gut eintrainiertes Mitarbeitergespräch führt doch nicht zum gewünschten Erfolg, selbst wenn der Mitarbeiter tatsächlich vielen Punkten zugestimmt hat.
Aber die Wahrheit ist: Er erlebt diese Gespräche nicht als authentisch. Er glaubt im tiefsten Innern eben nicht, dass tatsächlich er gemeint ist. Allenfalls erlebt er den Druck des Vorgesetzten als Druck auf sich selbst und wie soll es anders sein – er geht bewusst oder unbewusst in Widerstand. Aber es war doch so gut gemeint. Was läuft da falsch? Sind tatsächlich die Mitarbeiter so schwierig? Etwa die Ja-Sager, die nicht wirklich bei der Sache sind und eigentlich kein Interesse an der Firma haben? Oder die ewigen Querulanten, über die ja schon genug Beschwerden eingegangen sind, weil sie mit nichts zufrieden sind oder immer wieder neue Spielzüge anzetteln? Oder die besonders Fleißigen, die sich am Unternehmen abarbeiten, um am Ende an ihrer eigenen Erschöpfung, oft auch Burnout genannt, zu scheitern?

Falsche Grundannahmen

Blicken wir auf die eingangs gestellten Fragen zurück und analysieren diese etwas genauer, dann fällt auf, dass die innere Grammatik der Fragen bereits einen klaren Fokus vorgibt, sozusagen Grundannahmen, die die eigentliche Lösung für viele Führungsprobleme schon bei der Fragestellung einschränken. Jede dieser Fragen ist auf das eigene »Ich« konzentriert. Jede dieser Fragen impliziert, dass alle Lösungsfindung zentral über die Führungskraft gesteuert werden muss. Sie implizieren, dass es die Rolle der Führungskraft ist, die Mitarbeiter da hinzubiegen, wo sie das Unternehmen haben will.
Ja, man könnte leicht sagen, das sei legitim, denn die Mitarbeiter sollen doch im Sinne des Unternehmens funktionieren, denn dafür werden sie ja schließlich entlohnt. Stimmt. Aber der Ansatz ist falsch und auch nicht lebenstauglich. Wo gibt es Beispiele im Leben oder in der Natur, wo hohe Komplexität und die Bewertung jeder einzigen Bewegung oder Entwicklung von oben zentral gesteuert werden? Wie kann es sein, dass Entscheidungen ausschließlich an zentraler Stelle getroffen werden, also ausschließlich über Befugnisse, also hierarchisches Machtverständnis anstelle von wirklichen Kompetenzen – im Sinne von Fähigkeiten.

Intransparente Entscheidungen

Es gibt selbstverständlich schon längst valide Beobachtungen, dass genau daran die Mitarbeiter frustrieren. Sie verstehen bestimmte Entscheidungsprozesse nicht. Da könnte man entgegnen: Ja, sie verstehen ja auch die Gesamtzusammenhänge nicht. Aber tun das die Führungskräfte? Ich will mal behaupten, auf beiden Seiten gibt es dafür erhebliche Defizite. Bei den Mitarbeitern deswegen, weil die größeren Sinnzusammenhänge viel zu wenig kommuniziert werden. Bei den Führungskräften: Weil bei ihnen selbst das große Ganze, also der übergeordnete Unternehmenszweck, auch nicht klar ist. Viele Führungskräfte, auch ganz oben, verwechseln allzu oft ihre Funktion, ihr Denken und ihr Handeln mit dem Unternehmensinteresse. Natürlich liegt das oftmals am Machtbewusstsein. »Ich steuere das Unternehmen oder meinen Bereich, deswegen weiß ich auch, wo es langgehen muss. Dafür wurde ich ja eingesetzt.« Das ist ein Irrglaube.
Die meisten Unternehmen kommen ins Schwanken, weil genau das schiefläuft: Die Vorgesetzten überschätzen sich in ihren Kompetenzen. Nicht weil sie per se arrogant und übermütig sind, sondern aus einem einfachen Grund, weil sie die Kompetenzen gar nicht alle in sich vereinen können! So wie das Gehirn nicht die Funktion der Niere übernehmen kann.

Voreilige Schlussfolgerungen

In Unternehmen ist das allerdings gang und gäbe. Da wird nicht zugehört, was der Einzelne kann, sondern es werden voreilige Schlussfolgerungen gezogen, wenn irgendetwas schiefläuft. Im Übrigen von beiden Seiten, also der Mitarbeiterschaft und der Führungsetage. Allein die Trennung dieser Ebenen fordert und fördert Polarisierung und ein Gegeneinander, das bis hin zu Allianzen führt, die schließlich schädlich sein können für den gesamten Wertschöpfungsprozess. Ist es das, was das Unternehmen will? Diese Frage beantwortet sich von selbst.
Was wird Führungskräften also tatsächlich helfen? Beispiele in sehr gut funktionierenden Systemen können bei der Reflexion unterstützen. Wie funktionieren beispielsweise Gemeinden oder Städte? Hier gibt es zwar ein Stadtoberhaupt, aber hat der Bürgermeister die Macht über alle Einwohner? Kann er ihnen andauernd sagen, wie sie sich zu engagieren haben und was für das Zusammenleben in der Gemeinde wichtig und richtig ist? Jeder von uns kennt die Antwort. Wir alle leben in solchen Strukturen. Er kann es also nicht. Was hilft aber, um dieses soziale Gefüge nicht nur aufrecht, sondern im Übrigen höchst produktiv zu halten? Es sind die Regeln und Bedingungen, die von den Volksvertretern, die demokratisch gewählt wurden, als Basis für eine funktionierende Gemeinschaft verhandelt werden. An die muss sich jeder halten, ansonsten bekommt er Probleme. Zum Beispiel Strafzettel wegen falschen Parkens oder er bekommt Ärger mit seinem Nachbarn, wenn er sich nicht an die Ruhebedingungen hält etc.

Gute Regeln

Die Regeln geben also den Rahmen vor und nicht hierarchische Positionen. Es ist erwiesen, dass dies weit besser funktioniert als jedes zentral gesteuerte System.
Auch in Unternehmen ist also das wesentlich Zielführendere für eine funktionierende und damit leistungsfähige Zusammenarbeit, dass die Rahmenbedingungen geschaffen werden in Form einer tragfähigen Governance, die die Basis bildet, damit jeder in seiner zugewiesenen Funktion und innerhalb seines klar abgesteckten Verantwortungsrahmens sich so verhält, wie es dem Gesamtkontext guttut. Das, im Übrigen, motiviert außerordentlich! Das gibt den Menschen Sicherheit und Vertrauen und nicht willkürliche Entscheidungen (auch Nicht-Entscheidungen sind Entscheidungen) von zentraler Stelle, wo mal wieder das Lenkrad von rechts nach links gerissen wird.
Die Führungsrolle ist damit also nicht obsolet, vielmehr muss sie sich gravierend ändern. Vielmehr zu einem Dienstleistungsverständnis entwickeln (obwohl ich das Wort nicht glücklich finde, weil es immer mit Unterordnung in Verbindung gebracht wird), durch das Menschen die Bedingung erhalten, tatsächlich zur Höchstform zu gelangen. Und es ist eine meiner absolut gesicherten Wahrnehmungen: Kein Mensch ist glücklich, wenn er nicht das aus sich rausholen kann, was in ihm steckt und wenn er stattdessen gegen jeden und alles kämpfen muss, auch wenn sich das teilweise wie ein persönlichkeitsbedingtes Problem anfühlt. Aber glücklich ist damit niemand. In keinem Unternehmen.
Also: Für Führungskräfte heißt das, nicht nur aus Reflex zu handeln, sondern viel mehr zu reflektieren, was tatsächlich heute und morgen von ihnen in der jeweiligen Situation oder Konfliktlage gebraucht wird. Zur neuen Haltung gehört auch, dass der Erfolg des Unternehmens nicht nur der Führung oder dem Topmanagement gehört, sondern – das mag eine Binsenweisheit sein – der ganzen Belegschaft.

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